über »Bilsenkrauts Spezial-Apotheke« (Leseprobe)

über »Bilsenkrauts Spezial-Apotheke« (Leseprobe)

Zum Betrieb eines Handels dieser Größenordnung gehörten außer dem zur Anfertigung und Verabreichung der einzelnen Mittel erforderlichen Verkaufslokal, der Offizin, zahlreiche weitere Räumlichkeiten. Meister Bilsenkraut in persona führte ihn an seiner zukünftigen Wirkungsstätte herum. Die Handlung war ein Labyrinth aus Fluren, Treppen und Kellern unter Kellern. Es gab mehrere mit entsprechenden Gerätschaften ausgestattete Kammern, in denen die Anfertigung und Zubereitung von Präparaten stattfand. Ferner gab es ein Laboratorium für die durch mechanische Mischung oder Kochen zu bereitenden Mittel wie Latwerge, Mixturen und Dekokte. Im Weiteren gab es eigene Schneide-, Stoß- und Siebkammern.
Bilsenkraut öffnete eine Tür und führte ihn in einen immensen, luftigen Raum, in dem getrocknete Pflanzen und Pflanzenbestandteile in großen Mengen gelagert wurden. Sofort legte sich feinster Kampferstaub auf alle Schleimhäute. Ein vierschrötiger, hünenhafter Laborant stand vor einem riesigen Steinmörser und atomisierte, so schien es, Stoffe mit einem Stößel, der die Abmessungen eines zehnjährigen Kindes hatte.
»Das ist Sumach, genannt der Stößer«, stellte der Apotheker den Mann vor. Er musste schreien. Der Hüne schaute von seiner Tätigkeit kurz auf, ohne auf die Anwesenden zu reagieren.
Sie gingen weiter. Es gab eine Vielzahl an Vorratsräumen, Materialkammern, Kräuterböden und Trockenschränken, die Gerüche wechselten mit den gelagerten Drogen.
Bilsenkraut führte ihn durch Keller und Kellergeschosse unter Kellern. Es roch staubig. Er hatte jede Orientierung verloren.
»Hier werden die Separanda aufbewahrt«, sagte der Apotheker geheimnisvoll, riss den Mann damit aus seinen Gedanken. Strahlend wies er auf die fünf abgesonderten, verschlossenen Räume. Hinter eisenbeschlagenen Eichentüren mit zyklopischen Vorhängeschlössern lagerten die besonderen, getrennt von den Gewöhnlichen zu haltenden Mittel, die sogenannten Separanda.
»Meiner Treu! Was ist in einem Handel wie der Spezial-Apotheke denn überhaupt noch separat zu aufzubewahren?«, fragte er japsend. Im Geiste ging er die Drogen und Gifte durch, die in der Offizin hoch über ihnen täglich gehandelt wurden: Opium-Derivate, Kokablatt-Auszüge, Nylomeara, Nachtschwinge oder Maculotoxin! Was bei den Göttern lagerte zur Sicherheit gegen Missbrauch in diesen Kammern?
Bilsenkraut schnaubte belustigt durch die Nase, im Schein der Fackel blitzten seine Augen, als fingen geschliffene Smaragde das Licht ein, er blieb seine Antwort schuldig.
In Bombaabrabrioummugs Kopf begann es ohne sein Zutun zu arbeiten, er stellte sich Hekatomben der ungeheuerlichsten, allermonströsesten Substanzen vor, die hier in der Abgeschiedenheit aufbewahrt wurden, ja lauern mochten. Ihm kamen gefährliche, semistabile Stoffe in den Sinn, die man magischen Geschöpfen entrissen hatte – kaum handhabbar, gespenstisch in ihrer Wirkung. Gerüchteweise, bruchstückhaft hatte er Gemunkel gehört vom lähmenden Harnstein des Basilisken und vom Blut des Eisdrachen, dessen Gefrierpunkt nicht zu ermitteln war. Es war die Rede gewesen vom schleichend-tückischen Gift der Kopfschlangen einer Meduse und von der Milch der säugenden Werwölfin. Ganz zu schweigen von den Dutzenden Sekreten des Leviathans, einer berggroßen Kreatur des Verlorenen Kontinents Akrosul!

(aus “Drei wie Pech & Schwefel: Homunculus”)